Gig Economy – Fortschritt oder Jobfalle?

Ohne Zweifel hat die Digitalisierung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten dafür gesorgt, dass sich die Welt gefühlt immer schneller verändert. Abgesehen von den beeindruckenden technologischen Innovationen macht sich auch ein Wandel in unserer Lebensweise bemerkbar. Flexibilität scheint das neue Zauberwort zu sein, vor allem was die Arbeit betrifft. Keine durchgeregelten 8-Stunden-Tage mehr. Stattdessen bieten sich mehr und mehr Möglichkeiten, einer Tätigkeit zeitlich und gar örtlich unabhängig nachzugehen. Daher erscheint es kaum verwunderlich, dass neue Arbeitskonzepte, wie die Gig Economy, in der Schweiz auf dem Vormarsch sind. Selbst bestimmen, wann man arbeitet? Der nächste Auftrag nur einen Klick entfernt? Das klingt sicherlich für viele verlockend. Aber solche Freiheit hat ihren Preis und nicht jeder kann diesen bezahlen.

Was ist Gig Economy?

Digitale Plattformen bringen Anbieter diverser Dienstleistungen mit Unternehmen oder Privatleuten, die Aufträge zu vergeben haben, zusammen. Die wohl bekanntesten Gig Economy Beispiele sind «Uber», «Airbnb» oder die Plattform «clickworker». Mittlerweile ist die Liste lang und liesse sich beliebig fortsetzen. Dabei sind die Angebote ganz verschiedener Natur und reichen vom Fahr- und Lieferservice über Handwerksarbeiten und Hilfe im Haushalt bis zu künstlerischen Dienstleistungen und komplexen IT-Projekten. Um einen Auftrag zu bekommen oder zu vergeben, muss man nicht viel tun. Man registriert sich auf der Plattform und beschreibt, was man zu welchen Konditionen bietet oder sucht. Per App kann man ein Angebot annehmen oder eben nicht.

Doch warum heisst es Gig Economy? Der Begriff lehnt sich an das Musikbusiness an, wo die Band nach dem Gig ihre Gage bekommt und zum nächsten Auftritt tingelt. Sofern sie denn einen hat. Und darin liegt einer der Unterschiede zur gängigen Jobvermittlung. Am Ende steht nur ein einzelner Auftrag, aber kein regulärer Arbeitsvertrag. Mit anderen Worten, Gig Worker oder Crowdworker, wie man sie auch nennt, müssen sich selbst um ihren nächsten «Auftritt» kümmern. Hinzu kommt, dass beim Crowdworking die soziale Absicherung, die ein festes oder temporäres Arbeitsverhältnis bietet, praktisch nicht existiert. Denn wie Plattformarbeit im arbeitsrechtlichen Sinne zu beurteilen ist und wer hier als Arbeitgeber fungiert, scheint nicht ganz klar. Sofern die Gig Worker deswegen in die Rolle eines Freelancers und damit eines Selbständigerwerbenden schlüpfen, verantworten sie auch Steuern und Abgaben.

Welche Bedeutung hat Gig Economy in der Schweiz?

Allerdings ist das Prinzip von Gig Economy keine Erfindung des digitalen Zeitalters. Bereits im vergangenen Jahrhundert zogen in den USA nach der grossen Depression von 1929 Millionen Menschen quer durchs Land. Stets auf der Suche nach einem Job. Wenn der erledigt war, ging es für die Wanderarbeiter weiter. Und schon aus dem Mittelalter kennt man die Handwerksgesellen «auf der Walz», eine Tradition, die es bis heute gibt. Inzwischen haben sich durch die Digitalisierung eben die Voraussetzungen, kurzfristig einen Job anzunehmen, grundlegend geändert.

Auf den ersten Blick spielt die moderne Gig Economy in der Schweiz bislang keine grosse Rolle. Aber wenn man einmal genauer hinschaut, ergibt sich ein anderes Bild. Eine Studie von 2017* hat aufgezeigt, dass sich über 30 % der Schweizerinnen und Schweizer schon einmal über eine Plattform Arbeit gesucht haben. Insgesamt sind etwa eine Millionen Menschen hierzulande regelmässige Crowdworker und das über alle Altersgruppen hinweg. Zumeist nutzen sie die Plattformarbeit als zusätzliche Einkommensquelle im Nebenerwerb. Doch 12.5 % beziehen ihr gesamtes Einkommen ausschliesslich über Crowdworking. Besonders abhängig von Aufträgen sind dabei die unter 35-jährigen. Insgesamt betrachtet hat die Gig Economy in der Schweiz eine grössere Bedeutung als bei europäischen Nachbarn, so die Studie.

Crowdworking – gut oder schlecht?

Für Unternehmen liegen die Vorteile von Crowdworking auf der Hand. Sie können viele zeitraubende Tätigkeiten outsourcen und sich zugleich von ihren Pflichten als Arbeitgeber befreien. Das schont Ressourcen und spart natürlich Kosten. Aber viele festangestellte Arbeitnehmende fürchten, wahrscheinlich nicht zu unrecht, die Konkurrenz durch die Gig Economy. Beispielsweise in Gestalt der Plattform «Mila», die technische Serviceleistungen im Bereich Telekommunikation vermittelt. Dadurch könnte der Techniker in Festanstellung auf lange Sicht obsolet werden. Darüber hinaus hat Plattformarbeit, etwa in der Transportbranche, teilweise seltsame Blüten getrieben. Es gab Fälle, wo Arbeitnehmende entlassen wurden, nur um sie dann über eine Plattform als selbständige Fahrer wieder anzuheuern.

Während Crowdworking einerseits mit Freiheit und Flexibilität lockt, stehen auf der anderen Seite Arbeit auf Abruf und erhebliche finanzielle Unsicherheiten. Für gefragte Spezialisten, die auf entsprechend hochdotierte Angebote setzen können, mag die Gig Economy neue Türen öffnen. Hingegen kann sie für andere schnell zur Jobfalle werden. Wenn Aufträge nur mit einem Festpreis bezahlt werden, der den tatsächlichen Aufwand nicht berücksichtigt, muss man entsprechend viele davon abarbeiten, um halbwegs daran verdienen zu können. Am Ende mutiert dann die vermeintliche Freiheit zum Hamsterrad.

Ob die Gig Economy nun gut oder schlecht ist, hängt nicht zuletzt davon ab, wie die Gesellschaft insgesamt damit umgeht. Müssen Plattformbetreiber mehr Verantwortung übernehmen? Dürfen Unternehmen das Risiko komplett auf die Crowdworker abwälzen? Soll es ein verpflichtendes Mindestmass an sozialer Absicherung auch für Freelancer geben? Und wenn ja, wer kommt dafür auf? Wo zieht man die Grenzen zwischen echtem Freiberufler und Scheinselbständigkeit bei der Plattformarbeit?

Gig Economy als Konkurrenz für die Temporärbranche?

Ausgerechnet die Corona-Krise hat der Gig Economy Idee teilweise gehörig Sand ins Getriebe gestreut. Besonders Freelancer, die auf Aufträge über eine Plattform angewiesen sind, hat es hart getroffen. Denn im Gegensatz zu Temporärarbeitenden haben sie keinen Anspruch auf Kurzarbeits- oder Arbeitslosengeld. Hilfe vom Bund gab es für die Selbständigen nur schleppend und kaum ausreichend. Und die Plattformbetreiber fühlten sich nicht zuständig, denn sie vermitteln ja nur. Zudem hat es sie ja auch getroffen, ohne Gigs keine Vermittlungsgebühren. Aber deswegen der Gig Economy nun den Untergang vorauszusagen, ist wohl verfrüht. Immerhin besteht ein gewisses Risiko bei jeder selbständigen Arbeit, unabhängig davon, wie man seine Aufträge generiert. Stattdessen scheint es an der Zeit, Antworten auf die obigen Fragen zu finden und den tatsächlichen Status der Gig Worker zu klären.

Jedenfalls soll die Jobvermittlung über eine Plattform vor allem schnell und unkompliziert ablaufen. Innert vier Stunden einen temporären Job besetzen? «Coople» schafft das – inklusive Stellenausschreibung, Arbeitsvertrag und Klärung der Zahlungsmodalitäten. Die Schweizer Plattform hat mittlerweile über 300.000 registrierte User, Tendenz steigend. Selbst der weltgrösste Personalvermittler Adecco hat mit «Adia» eine reine Online-Vermittlung aufgegleist. Andere Projekte hingegen hatten weniger Erfolg. So ist das Start-up «Gigme» inzwischen in Liquidation und auch «onlinepersonal.ch» hat die Pforten für immer geschlossen. Zwar hat der klassische Personalverleih immer noch die Nase vorn. Vor allem, was die soziale Absicherung der temporär Beschäftigten betrifft. Trotzdem wird sich die Temporärbranche wohl darauf einstellen müssen, dass es durch die Gig Economy neue Formen gibt, wie Personal gesucht und gefunden wird.

* Crowdwork in der Schweiz – Eine Studie der Gewerkschaft «syndicom» und der Stiftung «sovis»

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